Koffer: Polycarbonat oder Polypropylen? Praxistests & Erfahrungen

Polycarbonat und Polypropylen zählen zu den beliebtesten Kunststoffen für Kofferschalen. Welches Material ist besser? 

Wir haben mehrere Koffer ausprobiert und getestet, berichten von unseren Erfahrungen und stellen die beiden Kunststoffe gegenüber.   

Polycarbonat und Polypropylen sind thermoplastische Kunststoffe. Sie erweichen in einem bestimmten Temperaturbereich und sind so immer wieder von neuem formbar.(1) Beide Kunststoffe eigenen sich für gängige Verfahren wie Spritzgießen oder Extrudieren.(2)

Die guten Verarbeitungsmöglichkeiten und die günstigen Materialeigenschaften machen beide Kunststoffe auch für die Kofferherstellung interessant.

• Polycarbonat gilt trotz relativ geringen Gewichts als sehr schlagfest und widerstandsfähig bei mechanischer Einwirkung.(3)
• Polypropylen ist ebenfalls vergleichsweise leicht und zeigt eine ausgezeichnete Widerstandsfähigkeit gegen Ermüdung.(4)
• Durch Beimischen anderer Stoffe lassen sich die Eigenschaften beider Kunststoffe für bestimmte Anwendungen optimieren, so dass es unterschiedliche Qualitäten bzw Arten beider Kunststoffe gibt, was pauschale Aussagen natürlich erschwert.(5)
• Polycarbonat gilt als verhältnismäßig teuer und wird deshalb oft nur verwendet, wenn günstigere Kunststoffe den hohen Anforderungen nicht gerecht werden.(6)
• Polypropylen zählt zu den gängigsten Kunststoffen überhaupt, ist verhältnismäßig günstig und erlaubt dadurch ein gutes Preis-Leistungsverhältnis.(7) 

Beide Kunststoffe haben als Koffermaterial eine lange Tradition und Herstellungsverfahren wie auch Materialeigenschaften wurden im Lauf der Zeit verbessert.

So werden Kofferschalen aus Polypropylen traditionell durch Spritzgießen erzeugt, so beispielsweise schon 1969 der Samsonite Koffer „Saturn“ (8). Bei diesem sehr gebräuchlichen Verfahren wird der erweichte Kunststoff vereinfacht beschrieben in eine Hohlform gespritzt und nimmt dadurch die gewünschte Form an.(9) Noch heute werden große Stückzahlen in diesem Verfahren erzeugt und entsprechende Koffer gibt es mit Reißverschluss (zB der getestete American Tourister Soundbox) oder mit Schnallen (zB der getestete Samsonite S’Cure).

Polypropylen wird aber auch in neueren Verfahren zu hitzeverdichteten Fasergeweben verarbeitet. Samsonite setzt dieses markenrechtlich unter dem Namen „Curv“ geschützte System für ultraleichte Hartschalenkoffer ein, die extrem schlag- und widerstandsfähig sind. 

Wir haben den Samsonite Lite Shock aus gewebtem Polypropylen („Curv“)  ausprobiert und getestet und der Koffer war bildlich gesprochen nicht kaputt zu kriegen. Zugleich ist der Lite Shock für einen Hartschalenkoffer sensationell leicht. Das Testmodell in Bordgröße bringt nur 1,7 kg (!) auf unsere Waage, während typische Hartschalenkoffer dieser Größe regelmäßig deutlich über 2kg, oft auch über 3kg wiegen. Leider sind Koffer aus „Curv“ auch relativ teuer. 

Letztlich zeigt sich in Belastungstests, dass im Endeffekt nicht nur das Koffermaterial, sondern auch die Bauart bzw Verarbeitungsqualität des Koffers über die Haltbarkeit entscheidet. So haben auch Koffer wie der Samsonite Prodigy, der Titan X2 (beide aus Polycarbonat) oder der American Tourister Soundbox und der Samsonite S’Cure (beide aus Polypropylen) hohen Belastungen in unseren Tests standgehalten.

Wir haben die Koffer nicht nur über mehrere Kilometer Asphalt und teilweise Schotter gezogen, sondern auch aus einem Meter Höhe vollbepackt auf jeweils eine Rolle krachen lassen und die Kofferhüllen und Teleskopstangen mit Körpergewicht belastet. Es hat den Anschein, dass Kofferhüllen aus Polypropylen einen Aufprall besser „absorbieren“. Das Material verformt sich in einem größeren Bereich. Bei den Testkoffern aus Polycarbonat wird die Rolle beim Aufprall umgebogen und in die Kofferschale gedrückt. Weitere Informationen zu den Ergebnissen unserer Handgepäck-Koffer Tests findest du übrigens hier.

Zu beachten ist, dass größere Koffer stärkeren Belastungen ausgesetzt sind, als kleinere. Unsere Testkoffer haben Bordgröße, sind also klein und kompakt. Im Koffer-Test von Stiftung Warentest wurden größere Koffer getestet. Dabei kam es sowohl bei Polycarbonat- als auch Polypropylen-Koffern zu Schäden. So blieben beim American Tourister Airconic (Polypropylen, 77cm) nach dem Falltest alle vier Rollen verformt, beim Rimowa Essential Trunk Plus (Polycarbonat) riss in einem Test die Schale im Bereich des Griffs.(10)

Die momentan wirtschaftlich und technisch wichtigsten Polycarbonate werden ua aus Bisphenol A hergestellt. Dieser Stoff gilt seit 2017 nach der REACH-Verordnung (europäisches Chemikalienrecht) als besonders besorgniserregende Substanz. Weil Polycarbonat bzw Bisphenol A auch beispielsweise für Flaschen, Konserven oder Behälter im Lebensmittelbereich verwendet wird, hat die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) 2021 die neuen tolerierbaren täglichen Aufnahmemengen um etwa das 100.000-fache niedriger angesetzt als die bisherigen Werte (11)

Das bei der Herstellung von Polycarbonat verwendete Bisphenol A wird zwar prinzipiell chemisch stabil gebunden, kann aber unter bestimmten Umständen wieder freigesetzt werden. Auch können im Fertigprodukt noch freie BPA-Reste in geringen Mengen enthalten sein.(12) Teure Labortests zu Schadstoffen in Koffermaterialien gibt es kaum, meistens beschränken sich die Untersuchungen auf die Griffe.(13)

Polypropylen enthält keine Weichmacher und wird deshalb gerne für Lebensmittelverpackungen oder andere „schadstoffsensible“ Bereiche verwendet. Hautkontakte gelten als unbedenklich.(14) 

Sowohl bei Polycarbonat als auch bei Polypropylen wird inzwischen an nachwachsenden, klimaneutralen Materialien als zukünftiger Ersatz für Erdöl als Ausgangsstoff geforscht und experimentiert.(15)

Beide Kunststoffe tragen momentan zur Problematik des Mikroplastiks bei.(16)

Die thermoplastischen Kunststoffe Polypropylen und Polycarbonat gelten als gut recycelbar.(17) Vor allem aus recyceltem Polypropylen gibt es mittlerweile viele Produkte, so auch Reisekoffer (siehe beispielsweise Samsonite S’Cure ECO).

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Der Samsonite S-Cure ECO* wird aus mindestens 85% recyceltem Polypropylen hergestellt.